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Die neue Gefahrstoffverordnung: Ein Wendepunkt für die Versicherungsbranche

Das Ampel-System wird Gesetz

Die wohl bedeutendste Neuerung ist die rechtlich bindende Einführung des risikobezogenen Maßnahmenkonzepts bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen. Was bisher nur in der Technischen Regel für Gefahrstoffe 910 (TRGS 910) verankert war, ist nun Pflicht. Das sogenannte „Ampel-Modell“ definiert drei Risikobereiche: geringes Risiko (grün, < 10.000 Fasern/m³), mittleres Risiko (gelb, < 100.000 Fasern/m³) und hohes Risiko (rot, > 100.000 Fasern/m³).

Für Betriebe bedeutet dies: Je höher die Belastung am Arbeitsplatz, desto aufwendiger werden die erforderlichen Schutzmaßnahmen. Was auf dem Papier nach mehr Klarheit aussieht, entpuppt sich in der Praxis als komplexes Regelwerk mit weitreichenden Konsequenzen.

Asbest: Das teure Erbe der Vergangenheit

Besonders brisant sind die neuen Asbestbestimmungen. Die novellierte Verordnung orientiert sich am Stichtag des Asbestverbots: In allen Gebäuden, die vor dem 31. Oktober 1993 errichtet wurden, muss mit Asbest in der Bausubstanz gerechnet werden. Das betrifft drei Viertel des deutschen Wohnungsbestandes – etwa 34 Millionen Wohnungen.

Die Neuerung führt eine Informations- und Mitwirkungspflicht für Bauherren ein. Diese müssen ausführenden Unternehmen alle vorliegenden Informationen zum Baujahr oder zur Schadstoffbelastung zur Verfügung stellen. Reichen die Informationen nicht aus, muss das Bauunternehmen eine Erkundung durchführen lassen – als „besondere Leistung“.

Die Rechnung für die Versicherer

Hier wird es teuer: Die Wohngebäudeversicherer erwarten allein durch Asbestprüfungen Mehrkosten von über 190 Millionen Euro jährlich. Diese Kosten werden unweigerlich die Prämien für die Wohngebäudeversicherung belasten – eine indirekte Belastung für alle Versicherungsnehmer.

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), sieht die praktische Umsetzung kritisch: „Es fehlen Fachkräfte und Labore, dadurch entstehen Wartezeiten und die Schadenbehebung am Gebäude verzögert sich.“ Gerade bei der Schadenregulierung spielt Zeit eine entscheidende Rolle – Verzögerungen können zu Folgeschäden wie Schimmelbefall führen und Schäden ohne Not vergrößern.

Neue Pflichten, neue Risiken

Die Verordnung führt mit § 5a erstmals besondere Mitwirkungs- und Informationspflichten für Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen ein. Diese müssen vor Baubeginn alle vorliegenden Informationen zur Bau- und Nutzungsgeschichte sowie zu Gefahrstoffen bereitstellen.

Gleichzeitig werden Tätigkeiten zur „funktionalen Instandhaltung“ im Bereich geringer und mittlerer Risiken legalisiert. Arbeiten wie das Fräsen eines Schlitzes in asbesthaltigem Putz zur Verlegung einer Elektroleitung dürfen nun mit entsprechenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden.

Übergangsfristen als Hoffnungsschimmer

Für Tätigkeiten mit asbesthaltigen Materialien gilt eine dreijährige Übergangsfrist für die erforderlichen Qualifikationen. Dennoch fordern die Versicherer zusätzliche Übergangsfristen zumindest für die Behebung akuter Schäden und eine Beschleunigung der Anerkennung emissionsarmer Verfahren.

Fazit: Mehr Schutz, höhere Kosten

Die novellierte Gefahrstoffverordnung zeigt exemplarisch, wie gut gemeinte Schutzmaßnahmen zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen führen können. Während der Arbeitsschutz zweifellos verbessert wird, tragen die Kosten letztendlich alle Versicherungsnehmer – ein klassischer Fall von gesellschaftlicher Kostenumverteilung durch regulatorische Hintertür.

Die Versicherungsbranche steht vor der Herausforderung, diese zusätzlichen Belastungen zu bewältigen, ohne dabei ihre Leistungsfähigkeit bei der schnellen Schadenregulierung zu verlieren. Hier trennt sich tatsächlich die Spreu vom Weizen.